Kriegsgefangenenfriedhof
Ralph-Klaus
Winkler
Der Kriegsgefangenenfriedhof
Königsbrück
Als am Abend des
27. August 1914 die ersten französischen Kriegsgefangenen in
Königsbrück eintrafen, hielt sich der deutsche Vormarsch im
Westen noch im vorgegebenen Rahmen des "Schlieffen-Planes", der
einen möglichst raschen Sieg über Frankreich und somit auch ein
schnelles Kriegsende ermöglichen sollte. An die Planung eines
Friedhofes für die gefangenen Soldaten verschwendete an jenem
Spätsommertag sicherlich noch keiner der Verantwortlichen einen
Gedanken. Bereits zwei Tage später erreichten mehrere
Lazarettzüge mit fast 1000 verwundeten Franzosen den
Königsbrücker Bahnhof.
Zunächst galt es, den Verletzten die
medizinische Hilfe angedeihen zu lassen, die die Bestimmungen
der Haager Landkriegsordnung von 1907 vorschrieben und die
moralisch von den dafür Verantwortlichen ohnehin als
selbstverständlich angesehen wurden. Zudem erwartete man vom
Kriegsgegner eine gleiche Behandlung der eigenen, in
Gefangenschaft geratenen Verwundeten. So musste innerhalb
kürzester Zeit das Alte Lager zum Reservelazarett II
eingerichtet werden, wohin auch der größte Teil der
französischen Soldaten verbracht wurde. Die ersten Beerdigungen
fanden bereits zu Beginn des Monats September statt, denn trotz
aller Bemühungen erlagen schon wenige Tage nach der Ankunft mehr
als zwei Dutzend der Franzosen ihren schweren Verletzungen.
Der
erste in Königsbrück verstorbene Gefangene war der Soldat
Marius Baronnier. Am 1. September wurde er nach einer kurzen
Andacht im Reservelazarett zusammen mit vier weiteren Kameraden
zum städtischen Friedhof überführt. Dort erfolgten im Beisein
eines französischen Geistlichen die ersten
Kriegsgefangenen-Beerdigungen in Königsbrück. Bis zum 12.
September wurden 25 Franzosen und 1 Russe auf dem städtischen
Friedhof beigesetzt.
Da dessen Aufnahmefähigkeit nur begrenzt
war und mit noch weit mehr Todesfällen gerechnet werden musste,
ging bereits am 8. September ein Schreiben von der Kgl.
Kommandantur ab, in dem sich der Kommandant des
Truppenübungsplatzes, Generalmajor Stark an die Kgl.
Amtshauptmannschaft Kamenz mit dem Ersuchen wandte, der
Errichtung eines Begräbnisplatzes für die hier verstorbenen
Kriegsgefangenen zuzustimmen.
In der dem Schriftstück
beigefügten Karte wurde der auf "militärfiskalischem Areal"
liegende Platz kenntlich gemacht. Er befindet sich in dem
kleinen Kiefernwald zwischen Schmorkauer Straße und dem
Zietscher Weg an der Nordostseite des Neuen Lagers. Vier Tage
später wurde dieses Anliegen vom Kgl. Bezirksarzt in Bautzen
genehmigt.
Die Friedhofsweihe
am 18. September 1914
Erstes Denkmal 1914
Bereits eine
knappe Woche nach Eingang der Zustimmung des Bezirksarztes
konnte die Weihe des neuen Kriegsgefangenenfriedhofes in
Verbindung mit der Beisetzung des Russen Tichon Schurkow
in angemessener Form vollzogen werden.
Die Weiherede wurde vom
Königsbrücker Pfarrer Wauer, der zugleich auch als
Garnisonsgeistlicher wirkte, gehalten. Die Feierlichkeiten
fanden "in aller Stille" statt, so dass die meisten
Königsbrücker erst am darauffolgenden Tag durch die regionale
Presse von diesem Ereignis in Kenntnis gesetzt wurden.
Der Begräbnisplatz
war noch nicht allzu groß, seine Maße betrugen lediglich 50m x
40m, die von einem 1,20m hohen Drahtgeflechtzaun umgrenzt
wurden. An der Westseite befand sich in der Mitte ein hölzernes,
grün gestrichenes Eingangstor, von dem ein breiter Weg in
Richtung Osten führte. An seinem Ende, kurz vor dem Zaun, stand,
ebenfalls mittig, ein einfacher Gedenkstein mit schwarzem
Holzkreuz sowie einer aufgeschraubten Platte mit der Inschrift
"Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Hebr. 4.9".
Eine Wasserentnahmestelle war nicht vorhanden, so dass man hier
vorerst auf Transportfahrzeuge mit Pferdezug zurückgreifen
musste, um die Pflege der Gräber gewährleisten zu können. Vom
Eingang gesehen auf der linken Seite des Weges wurden die
verstorbenen Franzosen beerdigt, während rechts die Russen ihre
letzte Ruhe fanden. Bis auf wenige Veränderungen blieb der
Friedhof bis zum Frühjahr 1916 in dieser Form bestehen. Unter den
Gefangenen befanden sich auch mehrere katholische Geistliche
sowie ein orthodoxer Seelsorger, die oftmals die Begräbnisse
begleiteten. Ansonsten war für die Betreuung der
Katholischgläubigen der deutsche Kaplan Rolewski
zuständig, während dies für die evangelischen Gefangenen von
Pfarrer Wauer und Pastor Skierl Königsbrück
wahrgenommen wurde.
Der
Franzosen-Obelisk
Bereits in den
letzten Wochen des Jahres 1914 planten mehrere französische
Gefangene ein Denkmal für ihre hier verstorbenen Kameraden zu
errichten. Mit Unterstützung der Lagerkommandantur konnte diese
Idee in den folgenden Wochen auch in die Tat umgesetzt werden.
Weihe des Franzosen-Obelisk 1915
Am 28. März 1915 erfolgte unter Beteiligung von Gefangenen,
Wachpersonal, Seelsorgern und Vertretern der Kommandantur die
feierliche Weihe des Gedenksteins mit der auf deutsch lautenden
Inschrift "1914 - Fürs Vaterland - Die Kriegsgefangenen von
Königsbrück ihren Waffenbrüdern." Der Obelisk wurde aus Granit
gefertigt. Seine Höhe misst etwas über 3m. Die Abmaße am Boden
betragen 0,80m x 0,80m.
Beerdigung
eines Franzosen 1915
Westlicher Abschnitt der Franzosenabteilung 1917
Umbettungen 1915
Um alle in
Königsbrück verstorbenen Kriegsgefangenen auf einem gemeinsamen
Begräbnisplatz zu bestatten, erging 1915 zu Beginn des Monats
September der Befehl, die vor Jahresfrist 1914 auf dem
städtischen Friedhof begrabenen Soldaten zum Gefangenenfriedhof
zu überführen. Die Ausbettung der ersten Toten begann am Abend
des 10. September. Im Schutz der Dunkelheit wurden die
exhumierten Leichen durch die Stadt zu ihrer neuen Ruhestätte
verbracht und dort gegen 22 Uhr beigesetzt. Am 24. September
teilte die Kgl. Kommandantur dem Kriegsgefangenenlager den
Abschluss der Aktion mit. Somit konnten die
Überführungsfeierlichkeiten für Anfang des folgenden Monats
festgelegt werden.
Gedenkfeier für die exhumierten Gefangenen 1915
Der Russen-Obelisk
Weihe des Russen-Obelisk 1916
22. März 1916,
Gefangenenfriedhof. Eine Abordnung von 185 Kriegsgefangenen,
angeführt von Einjährig-Freiwilligen und Unteroffizieren der
russischen Armee, hat auf dem Friedhof Aufstellung genommen.
Neben den dienstfreien Offizieren nahmen u.a. Vertreter des
sächsischen Kriegsministeriums, der Kommandant des
Truppenübungsplatzes, Generalmajor Stark und der
Kommandant des Kriegsgefangenenlagers, Major Lange an den
Feierlichkeiten teil. Gegen 10.30 Uhr wurde von einem russischen
Popen die feierliche Weihe des Gedenksteins nach orhodoxem
Ritual vollzogen.
Neben Inschriften
in russischer und deutscher Sprache ist im oberen Drittel der
Vorderseite des Obelisks ein Medaillon mit dem russischen
Doppeladler und der Zarenkrone zu sehen. Ein darüber
angebrachtes "Georgskreuz" begrenzt den Oberteil des Denkmals.
Der Gedenkstein selbst wurde von dem französischen Gefangenen
Dehaye geschaffen. Mit ca. 4 Metern ist der Russen-Obelisk
der höchste aller hier errichteten Gedenksteine. Er besteht
ebenfalls aus Granit. Die quadratische Form des Bodensockels
beträgt 1,40m x 1,40m. Die ihn umgebenden 4 Säulen haben eine
Höhe von 1,10m.
Russen-Obelisk nach der Weihe 1916
Beerdigung
eines Russen 1915
Das
Serben-Denkmal
Im letzten Jahr
des Krieges sollte auch der seit 1916 in Königsbrück
verstorbenen Serben durch ein Monument gedacht werden. Viele
serbische Gefangene litten an Erkältungs- oder anderen
ansteckenden Krankheiten. Bereits kurz nach Ankunft musste bei
mehreren serbischen Soldaten die Diagnose Fleckfieber gestellt
werden, was einen sofortigen Quarantäne-Aufenthalt im
sogenannten Seuchen-Lazarett Glauschnitz erforderlich machte.
Der erste in Königsbrück verstorbene Serbe hieß Radojtz
Uroschewitsch. Ihm sollten noch 175 seiner Kameraden folgen.
Weihe des Serben-Denkmals 1918
Das Monument für die in Königsbrück
verstorbenen serbischen Kriegsgefangenen ist nicht nur das
auffälligste der auf dem Friedhof aufgestellten Gedenksteine,
sondern auch das künstlerisch wertvollste. Die Plastik stellt
einen sich vom Boden aufstützenden serbischen Soldaten dar und
lässt mehrere Deutungen zu. Die Figur aus Sandstein ruht auf
einem massiven Granitsockel mit den Bodenmaßen 3,40m x 2,50m.
Die Gesamthöhe beträgt 2,50m.
Mit der Ausführung wurde wiederum
ein französischer Gefangener betraut. Der Bildhauer hieß
Edmond Delphaut. Am 4. September 1918 wurde das Denkmal
durch einen orthodoxen russischen Geistlichen feierlich geweiht.
Die Enthüllung des Monuments erfolgte durch den Kommandanten des
Lagers, Major Lange. Das Denkmal selbst trägt an der
Sockel-Vorderseite die Inschrift "Die serbischen
Kriegsgefangenen - Ihren Kameraden - 1916 - Fürs Vaterland -
1918". Zwischen den Schriftzügen ist das sogenannte "Kleine
Wappen" des Königreiches Serbien zu sehen. Es besteht aus einem
Doppeladler mit
Brustschild,
welches ein
griechisches
Kreuz, bewinkelt mit vier
stehenden, zum Schildrand offenen
Feuerstrahlen (sogenanntes
„Serbisches Kreuz“) zeigt. Das Kreuz selbst steht als Symbol für
das serbische Volk, während der Adler den Staat
versinnbildlichen soll. Auf der Rückseite wurde nur das
"Serbische Kreuz" abgebildet. Die Inschrift auf der Vorderseite
ist in kyrillischer Schrift abgefasst. Die Übersetzung ins
Deutsche wurde an der hinteren Seite aufgebracht.
Serbendenkmal nach der Weihe 1918
Der
Italiener-Gedenkstein
Im November 1917
trafen 3000 italienische Soldaten in Königsbrück ein, von denen
ca. 2500 bis zum Ende des Krieges im Lager verblieben. Im
Verlauf der nächsten 14 Monate verstarben 182 von ihnen. Im
Gegensatz zu den französischen und russischen Gefangenen von
1914 erlagen viele der italienischen Soldaten, ähnlich ihren
serbischen Kameraden, nicht schweren Verwundungen, sondern
verstarben größtenteils an den Folgen eines schlechten
Allgemeinzustandes. Oftmals wurden Tuberkulose,
Lungenentzündung, Darmkatarrh, Grippe, Hirnhautentzündung,
Herzschwäche oder ähnliche Erkrankungen als Todesursachen
angegeben. Teodolindo Corradini war der erste Italiener,
der auf dem Gefangenenfriedhof beigesetzt wurde. Er diente als
Soldat im italienischen 3. Alpini-Regiment, Bataillon Val
Chisone. Corradini verstarb am 27. November 1917 im
Reservelazarett II.
Das Denkmal selbst
wurde als letztes aller Monumente errichtet. Die Inschrift der
Marmorplatte, deren Änderung 1959 leider angeordnet wurde,
lautete ursprünglich auf Deutsch "Die Italiener - Ihren Brüdern
- 1917-1918". Der Gedenkstein aus Granit hat eine Höhe von ca.
3m. Die Sockelbreite am Boden beträgt 1,90m x 1,90m. Das
Rundelement innerhalb des Kreuzes ist ebenfalls aus Marmor
gefertigt worden. Die das Denkmal umgebenden 4 Säulen haben eine
Höhe von 1m.
Der Friedhof bis
zum Kriegsende
Neben
katholischen, evangelischen und orthodoxen Begräbnissen sind auf
dem Friedhof auch Verstorbene anderer Konfessionen beigesetzt
worden. Diese wurde, soweit es möglich war, immer nach den
Regeln der jeweiligen Glaubensrichtung durchgeführt. Neben
Anhängern jüdischen Glaubens sind auch mehrere Moslems in
Königsbrück beerdigt worden, die sowohl der französischen als
auch der russischen Armee angehörten. Die erste muslimische
Beisetzung war die des Nordafrikaners Alli Ben Guiasem.
Er war Soldat im 4. Algerischen Tirailleur-Regiment. Guiasem
verstarb am 31. Dezember 1914 im Reservelazarett II an
allgemeiner Sepsis infolge einer Granatsplitter-Verwundung.
Seine Beisetzung erfolgte am 2. Jaunuar 1915 in der
französischen Abteilung.
Auch nach
Beendigung des Krieges musste der Friedhof weiter betrieben
werden. Selbst die Rückführung der französischen und britischen
Gefangenen konnte nicht von einem zum anderen Tag abgewickelt
werden, die russischen Soldaten verblieben bis auf wenige
Ausnahmen ohnehin noch im Lager. Zudem wurden auch die
erkrankten Gefangenen im Lazarett weiter behandelt und noch
mancher von ihnen sollte die Heimat nicht mehr wiedersehen. So
war die Erweiterung des Friedhofes nach Süden (Serben, Russen)
und Norden (Italiener, Briten, Belgier, US-Amerikaner)
unumgänglich. Der immer noch zentral gelegene Hauptweg verlor
seine ursprüngliche Funktion mehr und mehr und wurde von dem
heute noch vorhandenen von Nord nach Süd führenden ca. 200m
langen Weg abgelöst. Das Zentrum verblieb aber dennoch zwischen
den beiden Obelisken der Franzosen und Russen. Das erklärt auch,
warum sich dem heutigen Besucher Italiener- und Franzosendenkmal
von der Rückseite, dem ehemaligen Zentrum zugewandt, zeigen (der
zweite Italiener-Stein wurde erst in den neunziger Jahren
aufgestellt und gehört nicht zur ursprünglichen Anlage). Bis zur
Verlegung des Lagers nach Bautzen und auch danach sind noch
mehrere Gefangene verstorben und hier beerdigt worden. Als
letzter Königsbrücker Kriegsgefangener des 1. Weltkrieges wurde
der russische Soldat Pawel Solochow auf dem
Gefangenenfriedhof beigesetzt.
Insgesamt sind auf dem Königsbrücker Gefangenenfriedhof 724
Grabstätten nach Nationalitäten getrennt angelegt worden. Davon
waren
225 Russen, 182 Italiener, 176 Serben, 132 Franzosen, 7 Briten,
1 Belgier und 1 US-Amerikaner
Unter den allgemein als "Russen" bezeichneten Verstorbenen
befanden sich allerdings auch Angehörige anderer Nationalitäten,
vor allem Polen, Ukrainer, Weißrussen und auch Deutsch-Russen.
Eine exakte Differenzierung ist heute nicht mehr möglich.
Die Exhumierungen 1922 - 1927
Bereits 1922 sollte die Friedhofsruhe wieder unterbrochen
werden. Auf Privatinitiative ihrer Familien sind drei der in
Königsbrück beerdigten französischen Kriegsgefangenen exhumiert
und in ihre Heimat überführt worden. Zu dieser Zeit war bereits
die Überführung aller Franzosen von Seiten des französischen
Staates geplant. Es sollten allerdings noch mehr als dreieinhalb
Jahre vergehen, ehe dies in die Tat umgesetzt werden konnte.
Im
Jahr 1924 wurden der US-amerikanische Sergeant Clarence D.
Gehring und auch die 7 hier begrabenen Briten aus
Königsbrück exhumiert. Als letzte holten die Italiener ihre
Verstorbenen ab. Diese wurden allerdings nicht in ihre Heimat,
sondern zu einem Sammelfriedhof nach Breslau gebracht, wo sie
erneut bestattet wurden. Somit verblieben lediglich die 225
Russen und 176 Serben in Königsbrück, deren Gräber bis zum Ende
des 2. Weltkrieges ordentlich instand
gehalten und gepflegt
wurden.
Der Friedhof während des 2. Weltkrieges
Im Verlauf des 2. Weltkrieges musste der Friedhof erneut
Kriegsgefangene oder Internierte anderer Nationen aufnehmen. Die
Angaben hierzu sind allerdings nur bruchstückhaft.
Bereits im
November 1941 berichtet die Heeresstandortverwaltung Königsbrück
über "Bestattungen von Leichen sowjetischer Kriegsgefangener auf
einem besonderen Teil des im Weltkriege angelegten Friedhofes."
Dieser soll sich im nordöstlichen Bereich hinter dem
Italiener-Denkmal befunden haben. Die genaue Gräberzahl der
während des 2. Weltkrieges hier Beerdigten ist jedoch nicht
bekannt. Standesamtlich beurkundet sind lediglich 47
Kriegsgefangene, die auf dem Friedhof beigesetzt wurden (17
Franzosen, 7 Sowjetbürger, 9 Italiener, 4 Belgier, 4 Briten, 3
Polen, 3 Jugoslawen). Allerdings sind noch wesentlich mehr
Grabstellen vorhanden gewesen, deren Inschriften nach dem Krieg
teilweise noch lesbar gewesen sein sollen.
Der Schmorkauer
Pfarrer Paul Biehler hatte damals die Gräberreihen
der im 2. Weltkrieg auf dem Gefangenenfriedhof Beerdigten in
einer handschriftlichen Skizze festgehalten. Nach seinen
Aufzeichnungen sollen 247 Einzelgräber vorhanden gewesen sein
(in der überwiegenden Mehrzahl wahrscheinlich Rotarmisten).
Leider sind bis jetzt kaum Erkenntnisse über diese
möglicherweise sehr traurige Epoche der Königsbrücker Historie
vorhanden.
Für die Angehörigen der Roten Armee wurden seinerzeit
sämtliche Kriegskonventionen außer Kraft gesetzt und sie waren
oftmals schlimmsten Verbrechen ausgesetzt (mindestens 3
Millionen Rotarmisten sollen von 1941 bis 1945 in deutscher
Gefangenschaft ums Leben gekommen sein). Das Königsbrücker Lager
dürfte hierbei kaum eine Ausnahme gemacht haben. Bewußte
Unterversorgung führte schnell zum Absinken der
Arbeitsleistungen. Als
Folge der Mangelernährung in Verbindung mit den häufig
katastrophalen sanitären und hygienischen Bedingungen in den
Unterkünften lag die Verlustrate bei den sowjetischen Gefangenen
oftmals bei über 50%.
Nach dem 2. Weltkrieg
Nach Beendigung des Krieges ist das Areal des
Gefangenenfriedhofes zunächst von der Roten Armee übernommen
worden. Interesse der sowjetischen Seite an Erhaltungs- oder gar
Pflegemaßnahmen irgendwelcher Art sind aus den frühen
Nachkriegsjahren nicht bekannt, obwohl der größte Teil der dort
Beerdigten Russen waren und deren Gräber mit den Schrifttafeln
dies auch deutlich dokumentierten.
Es erscheint schon ein wenig
befremdlich, dass die Gräber der Russen von den ehemaligen
Feinden bis zum Kriegsende regelmäßig und gut gepflegt wurden,
während die neuen Besatzer für ihre eigenen Toten keinerlei
Beachtung zeigten. Die Armee des Zaren musste in der
Sowjetpropaganda jener Jahre ohnehin als oftmaliges Feindbild
herhalten. Dass auf diesem Friedhof allerdings auch Angehörige
der Roten Armee ihre letzte Ruhe fanden und dennoch keinerlei
Aufmerksamkeit erfuhren, könnte im ständigen Misstrauen allen
eigenen Kriegsgefangenen gegenüber, vor allem in der Stalin-Ära,
begründet sein.
Nicht wenige von denen, die in Deutschland über
Jahre schwerste Entbehrungen erdulden mussten, wurden nach ihrer
Rückkehr in die Heimat des Verrats bezichtigt und traten oftmals
schon wenige Tage später wieder einen langen Weg in neue Lager
an, da man sie häufig der Spionage oder ähnlicher Dinge
verdächtigte.
So bestand das Interesse der Besatzungsmacht
vornehmlich darin, das Areal mit allen Verpflichtungen der Stadt
Königsbrück zu übergeben. Auf Einwände des Bürgermeisters, dass
dafür weder Mittel noch Möglichkeiten beständen (der Friedhof
befand sich seinerzeit auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes
und unterstand der Liegenschaftsverwaltung für ehemaliges
Reichsvermögen), wurde nicht eingegangen. Der sowjetische
Kommandant setzte sich durch und ordnete die Übertragung an. Im
Oktober 1949 erfolgte die Übergabe des Friedhofes an die Stadt
Königsbrück.
In den Folgejahren fristete der Friedhof ein Schattendasein. Die
Stadt Königsbrück hatte, wie vorhergesehen, kaum Mittel für eine
angemessene Unterhaltung des Begräbnisplatzes und war im ersten
Jahrzehnt nach dem Krieg auch mit zu vielen anderen, weitaus
wichtigeren Dingen befasst.
Dass der Friedhof dennoch
einigermaßen instand gehalten wurde, ist vor allem der
Initiative weniger Schmorkauer und Königsbrücker Bürger zu
verdanken, die sich in ihrer freien Zeit um die Grabanlagen
kümmerten. Die offensichtliche Zweitrangigkeit des
Gefangenenfriedhofes bestand auch nach Übernahme durch die Stadt
Königsbrück fort. Die Russen hatten sich für die obligatorischen
Kranzniederlegungen zu den entsprechenden Feiertagen
mittlerweile das sowjetische Ehrenmal in Schmorkau an der
damaligen F97 ausgesucht. Mit den wechselnden Kommandanten
änderte sich allerdings oftmals auch deren Sicht auf ihre eigene
Geschichte. So sind einige angeordnete Kranzniederlegungen auf
beiden Gedenkstätten
in den fünfziger Jahren aktenkundig.
Der "Ehrenhain"
Am 2. Dezember 1958 wurde die Stadt Königsbrück vom Rat des
Bezirkes Dresden, Abt. Dorf- u. Städteplanung, über den Rat des
Kreises von der geplanten Umgestaltung des Gefangenenfriedhofes
in Kenntnis gesetzt. Die "Gräber seien jahrelang nicht gepflegt
worden und dadurch in einen sehr verwilderten Zustand geraten".
Durch freiwillige Helfer sollen bereits im Herbst die Hauptwege
freigelegt worden sein. Um- und Neupflanzugen sind geplant und
teilweise auch durchgeführt worden. Wesentlich folgenschwerer
hingegen sollte die Entfernung der Holzkreuze inklusive ihrer
Namensschilder sowie die Einebnung aller Gräber das
Erscheinungsbild des Friedhofes verändern. Begründet wurde dies
mit dem zunehmenden Verfall der Kreuze und dem "ohnehin nicht
mehr vollständigen Erhalt der Namen der Beerdigten".
Als in den Jahren 1958/59 die Umgestaltung des
Kriegsgefangenenfriedhofes beschlossen wurde, hat möglicherweise
der eine oder andere tatsächlich geglaubt, dass dem geweihten
Ort endlich wieder die Würde zurückgegeben werden könnte, die
einem solchen Platz auch angemessen ist.
Ursprüngliche Angaben,
ihn in der Folgezeit zu feierlichen Anlässen etc. in Gebrauch zu
nehmen, erschienen allerdings von vornherein zumindest
zweifelhaft. Zu ungewöhnlich und kaum vorstellbar wären
Kranzniederlegungen an den Gräbern von verstorbenen Angehörigen
der zaristischen Armee in der DDR der fünfziger und sechziger
Jahre gewesen. Zudem passten die hier beerdigten
Kriegsgefangenen der Roten Armee, wenigstens noch in den
fünfziger Jahren, ebenfalls nicht in das offizielle Bild der
"ruhmreichen Sowjetsoldaten, die das deutsche Volk vom
Faschismus befreiten."
All dies mag dazu beigetragen haben, dass
man wahrscheinlich einfach die Flucht nach vorn antrat, wohl
wissend, dass die Umgestaltung des Friedhofes den endgültigen
Abstieg des geschichtsträchtigen Ortes in die Zweitrangigkeit
nach sich ziehen würde. Das wäre auch eine Erklärung für die
unverantwortliche Einebnung aller Grabhügel und Entfernung der
Kreuze nebst Namensschildern.
Die Verantwortlichen vom Rat der
Stadt haben sicherlich alles in ihren Kräften Stehende
unternommen, um den Friedhof in ein einigermaßen würdiges
Aussehen zu versetzten, was bei den sehr begrenzten Mitteln
dafür sicher mehr als schwierig gewesen sein dürfte. Die
Entscheidung für die bedenkenlose Beseitigung der Gräber ist
jedoch an höherer Stelle getroffen worden.
So wurde durch
verantwortungslose Entscheidungen eine Kriegsgräberstätte mit
450 namentlich bekannten, wahrscheinlich aber weit mehr als 600
dort noch ruhenden Gefangenen zweier Weltkriege ihrer Identität
beraubt und in eine Anonymität versenkt worden, die leider bis
heute noch immer anhält.
Im Verlauf der folgenden Jahrzehnte
konnte der Ort dem anspruchsvollen Namen "Ehrenhain" allerdings
in kaum gerecht werden. Die meisten der nach dem 2. Weltkrieg
Geborenen kannten den sogenannten Ehrenhain überhaupt nicht und
so blieb der ehemalige Gefangenenfriedhof weitestgehend
unbeachtet.
Der Friedhof nach 1990
Bis 1990 wurde die Anlage mehr schlecht als recht
instandgehalten. Im Laufe der Jahre verschwanden zunächst das
Georgskreuz vom Russen-Obelisk, später fiel auch der Palmenzweig
des Franzosen-Steins Diebeshänden zum Opfer.
Inzwischen ist auch
die Spange des Georgskreuzes abmontiert worden. Eine erneute
Aufarbeitung der Anlage nach 1990 ließ sie zumindest
einigermaßen ansprechend erscheinen, das jahrzehntelange
Schattendasein des ehemaligen Kriegsgefangenenfriedhofes dauerte
jedoch weiterhin an. Da 1959 auch keine maßstäbliche
Zeichnung der Grablage angefertigt wurde, ist eine exakte
Zuordnung der bekannten Namen nicht mehr möglich, so dass auch
Anfragen von Verwandten nach der Möglichkeit ihre Toten zu
überführen nicht entsprochen werden konnte.
In mühevoller
Kleinarbeit der Königsbrücker Ortschronistin konnten
mittlerweile sehr viele bekannte Namen den Gräbernummern wieder
zugeordnet werden, womit Hinterbliebene wenigstens die
Gelegenheit haben, den ungefähren Ort ihrer hier ruhenden
Verstorbenen aufsuchen können.
Der Gefangenenfriedhof im Sommer 2017
ist für ortsfremde Besucher kaum zu finden, weisen doch
keinerlei Schilder, wie bei ähnlichen Anlagen allgemein üblich,
auf das Vorhandensein eines solchen hin.
Leider bietet auch die
Gedenkstätte selbst ein insgesamt recht tristes
Erscheinungsbild. Das Serbendenkmal verfällt zusehends, die
ungepflegten Wege sind nur noch durch die Begrenzungssteine vor
dem Überwuchern durch den verwilderten Rasen geschützt. Blickt
man auf die von kniehohem Gras bewachsene Fläche mit den
eingeebneten Gräbern, will man kaum glauben, dass darunter
hunderte von Toten liegen sollen, denen bis auf einen Kranz aus
künstlichen Blumen am Russen-Obelisk keinerlei Achtung mehr
entgegengebracht wird.
Bereits im Frühjahr 2017 ist eine Neugestaltung der Anlage ins
Auge gefasst worden. Leider hat sich, von einigen
Aufräumarbeiten an den Rändern des Objekts abgesehen, bislang
kaum Wesentliches getan. Sicherlich wird es Gründe gegeben
haben, dieses Projekt vorerst zu verschieben.
Dennoch bleibt zu
hoffen, dass in nicht allzu ferner Zukunft dieser schützenswerte
Ort der Heimatgeschichte durch regelmäßige
Instandhaltungs-Maßnahmen wieder in einen Zustand versetzt werden
könnte, der seiner interessanten, wechselvollen Vergangenheit
und dem achtunggebietenden Namen "Kriegsgräberstätte" endlich
wieder gerecht
würde.
Dezember 2017
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